Vom 12. bis zum 16. März 2024 war das das Eupener Institut für Demokratiepädagogik (IDP) in Norwegen, um mit seinem Film Konsensverschiebungen am Tromsö Educational Film Festival (TREFF) teilzunehmen. Es war das erste Mal, dass die norwegische Universität in der Arktis ein Filmfestival mit pädagogischer Ausrichtung organisierte. Der Aufruf im letzten Jahr hatte großen Zulauf. Deswegen waren wir im IDP sehr glücklich, dass unser Film angenommen wurde. Dabei ging es in erster Linie nicht darum, einen Wettbewerb zu gewinnen, sondern zu erfahren, wie und warum andere Menschen pädagogische Filme konzipieren, die nicht einfach nur Frontalunterricht ersetzen oder unterstützen sollen, sondern auch einen didaktischen Mehrwert haben. Skandinavische Länder haben, wenn es um Bildungsfragen geht, sehr oft eine Vorreiterrolle inne. Gerade deshalb wollte das IDP herausfinden, welche Konzepte hinter diesem Filmfestival standen.
Dort wurden während des drei Tage langen Festivals sehr unterschiedliche Filme gezeigt. Manche waren sehr kurz, andere hatten fast Spielfilmlänge. Allen gemeinsam war, dass sie die die Zuschauer zum Nachdenken auffordern oder aber zumindest handfestes Wissen weitergeben wollten. Es gab interaktive Filme, die schon kleine Kinder auf die juristischen Hürden bei ökologischen Projekten hinwiesen, 3D-Filme, um das Leben in einem Gefängnis hautnah zu erleben oder für Psychologiestudierende einen filmischen Parcours, um Familienpsychologie anhand verschiedener Familiensituationen in den unterschiedlichen Räumen eines Einfamilienhauses besser zu verstehen. Einige Filme waren dazu gedacht, Studierende auf Berufssituationen oder Praktika vorzubereiten. So konnte man z.B. den Ablauf bei der Anästhesie mit besonderem Fokus auf der Behandlung von Patient*innen mitverfolgen, und aus dem Bericht über Schulpraktika norwegischer Lehramtsstudierender in Südafrika und Norwegen viel über unterschiedliche Lehr- und Unterrichtskonzeptionen erfahren. Manche Filme erinnerten an die Erklärfilme aus der Sendung mit der Maus, da sie mit viel Humor wissenschaftliche Fragen erklärten, z.B. was Plastik ist und welche Probleme es in der Natur hervorruft.
Interessant war, dass die Regisseur*innen und/oder Produzent*innen der Filme anwesend waren, und für einen ausführlichen Austausch nach dem Film zur Verfügung standen. Besonders bewegend war Speaking through me, der Film der Neuro-Chemikerin Kristen Gilliland von der Vanderbilt University, die sich mit durch Drogen hervorgerufenen mentalen Krankheiten beschäftigt und Jugendliche mit ihrem Film auf die Gefahr von zu frühem Drogenkonsum aufmerksam macht. Ihre Motivation, den Film zu drehen, beruhte auf dem Verlust einer ihrer Söhne, der durch Drogen schizophren wurde und schließlich an einer Überdosis starb. Der Film zeigt die Neurochemie hinter den Persönlichkeitsveränderungen, erzählt Einzelschicksale, und weist auf Möglichkeiten hin, in den USA Hilfe zu bekommen.
The toxic reigns of resentment von Jürgen Schaflechner war ein beeindruckendes Beispiel von public philosophy, also öffentlicher Philosopie, die sich an ein nicht akademisches Publikum richtet. Denker*innen aus Berkeley, Princeton, Austin oder von der Humboldt Universität, der Erasmus Universität Rotterdam und den Kunst und Design Universitäten in Karlsruhe und Linz kommen zum Thema Resentiments und ihrer Auswirkungen auf die heutige Politik zu Wort, unterbrochen von modernen Tanzinterpretationen des zuvor Gesagten.
Zwei Filme, die mich besonders angesprochen haben, waren AKMA 2 – Ocean Senses Research Expedition (Advancing Knowledge of Methane in the Arctic) und Classified People. Beide Filme sind Dokumentarfilme. Der Erstere wurde im Rahmen der UN-Dekade der Ozeanforschung für nachhaltige Entwicklung ermöglicht. Er skizziert eine interdisziplinäre Expedition in der Arktis, an der nicht nur Meeresbiolog*innen und -geolog*innen teilnehmen, sondern auch Lehrkräfte aus ganz verschiedenen Disziplinen und Ländern, die gemeinsam Unterrichtsmaterialien entwickeln, um die See allen unseren Sinnen zugänglich zu machen und dadurch mehr Bewusstsein für die Natur, insbesondere die Arktis zu schaffen. Die daraus entstandenen didaktischen Materialien können auf der Webseite der UiT heruntergeladen werden. Interdisziplinarität von Wissenschaft bis zum schulischem Lehrauftrag zu erleben, ist ein ganz besonderes Abenteuer, bei dem man den beiden Leitern der Expedition, Giuliana Panieri – Professorin für Geologie an der UiT, und Stefan Bünz, Professor für Meeresgeophysik an der UiT, gerne folgt
Classified People, ein Film von Yolande Zauberman, setzt sich an Hand einer ‚alltäglichen‘ Familiengeschichte mit der Apartheid in Südafrika auseinander. Robert, ein 91-jähriger Mann, war mit einer Französin verheiratet und ist Vater von zwei Söhnen. Er wird nach dem Tod seiner Frau auf Grund seiner Teilnahme als Soldat in einem ‚farbigen’ Regiment im ersten Weltkrieg als „schwarz“ reklassifiziert. Das bewirkt eine brutale Trennung von seinen Kindern, die lieber ihre Privilegien als Weiße behalten, als zu ihrem Vater zu stehen, der zu allem noch eine Schwarze heiratet. Die Absurdität willkürlich staatlich verordneter Kategorien und ihre Auswirkungen auf die Menschen nimmt Kafkaeske Formen an. Zauberman hat den Film ohne Dreherlaubnis 1987 gedreht. Er wurde restauriert und im September letzten Jahres wieder zugänglich gemacht.
Der Beitrag des IDP, Konsensverschiebungen (Englisch: Shifting Consensuses), auf YouTube hier zu sehen, wurde als künstlerische Installation gezeigt, die in den längeren Kaffeepausen dem Publikum zugänglich waren. Tomke Lask hatte viele interessante Gespräche mit Musikprofessoren, die die politische Dimension von Musik sowie die Art und Weise, wie man diese mit Hilfe des Arbeitshefts (Deutsch: hier: und Englisch: hier) zu Konsensverschiebungen erarbeiten kann, überraschend fanden. Aber die Kategorie einer Installation wird diesem Film nicht gerecht. Man kann sehr viel mehr aus dieser Vertonung herausholen, wenn man sich tatsächlich Schritt für Schritt über das Arbeitsheft damit auseinandersetzt. Dieses ist übrigens dank der Teilnahme am TREFF nun auch auf Englisch verfügbar.
Es hat sich auf jeden Fall gelohnt, in Tromsö mit dabei gewesen zu sein. Allein der Austausch mit den Teilnehmenden und die neuen Kontakte waren es wert. Zudem habe ich neue Ideen, um Kunst und Politik als pädagogisch wichtiges Thema weiter zu stärken, vom Filmfestival am Polarkreis mitgenommen.