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Gruppenfoto am Donnerstag
Vorträge am Donnerstag
Essen am Donnerstag
Vorträge am Donnerstag
Essen am Donnerstag
Vorträge am Donnerstag
Essen am Donnerstag
Vorträge am Donnerstag

Nun geht es mit unserem kleinen Rückblick auf die schon zweite interdisziplinäre und internationale Speak Up! Tagung weiter, die zwischen dem 09. und 14. Oktober 2022 im ostbelgischen Lontzen stattgefunden hat.

Veranstalter*innen des Retreats waren das Eupener Institut für Demokratiepädagogik in Kooperation mit der Vernetzungsstelle Speak Up! Thematisch ging es an fünf Thementagen (Montag: politische Bildung, Dienstag: Medien- und Informationskompetenz, Mittwoch: Speak Up! macht Schule, Donnerstag: Hate Speech, Freitag: Politik) um Fake News und Hate Speech als gesellschaftliche Herausforderungen.

Zu den Vortragenden zählten neben Menschen aus der ostbelgischen Zivilgesellschaft insbesondere Fachkräfte sowie Wissenschaftler*innen aus dem In- und Ausland, die sich im Vorfeld um eine Teilnahme bewerben konnten, wie sich hier nachlesen lässt. Ein wichtiges Anliegen der Tagung war auch in diesem Jahr, dass sich alle Teilnehmenden auf Augenhöhe begegnen und miteinander ins Gespräch kommen bzw. voneinander lernen konnten. Anders als bei klassischen wissenschaftlichen Tagungen gab es daher kein Namensschildchen mit Titel, Namen und Institution, sondern nur ein Klebeetikett fürs Oberteil, auf das die Teilnehmenden ihren Vornamen schreiben konnten. 

Am Donnerstag stand jedenfalls unser Thementag Hate Speech auf dem Programm. Maximilian KRETER, wissenschaftlicher Mitarbeiter am HAIT – der auch Gast auf unserer ersten Tagung war und seit Gründung im Juni 2022 Mitglied des Speak Up! Netzwerks rund um die Vernetzungsstelle ist – befasste sich in seinem Vortrag mit „Hatespeech in den sozialen Medien: Rechtsextreme Slogans, Codes und Invektive im deutschsprachigen Raum“.  In seinem Beitrag ging Maximilian Kreter insbesondere auf Funktionen und Techniken der Verschlüsselung rechtsextremer Kommunikation im öffentlichen Raum ein. Als bekannte bzw. oft genutzte Muster und Techniken benannte Maximilian KRETER u.a. die literarische Camouflage, die kulturelle Entwendung, die sprachliche Faltung  sowie den Metaplasmus und Elisionen. Überdies betonte der sympathische Dresdener, dass noch großer Bedarf an kontinuierlicher Forschung und daraus resultierender Expertise besteht. Aus seiner eigenen Forschung, auch gemeinsam mit Kooperationspartner*innen, sei eine Handreichung für die Praxis entstanden, die in Kooperation mit Meta und Academic Consulting Services veröffentlicht wurde. Yannick Sandberg betonte, welch einen wichtigen Beitrag die Forschung von Maximilian KRETER auch für die Praxis leistet: „Der Ansatz, die Codes und Narrative der extremen Rechten zu entschlüsseln und so über ein bloßes Beschreiben hinauszukommen, ist ein wichtiger Schritt in der Bekämpfung menschenfeindlicher Ideologien. Sowohl Präventionsarbeit als auch weitere Forschung können davon
profitieren.”

Daran schlossen sich eine Kaffeepause und zwei parallele Hybridformate an. Isabella FERRON von der Universität Modena und Reggio Emilia befasste sich in ihrem Vortrag mit der langen Geschichte der Hassrede ais linguistischer Perspektive. Es ging in ihrem Beitrag um eine sprachwissenschaftliche Untersuchung, die anhand exemplarischer Beispiele die Hassrede aus diachroner Perspektive beleuchtete und Hassrede als eine besondere Art sprachlicher Handlungen verstand.

Anne D. PEITER von der Saint Denis de La Réunion behandelte in ihrem hybriden Vortrag „Invektiven im Genozid. Überlegungen zu Erinnerungstexten von überlebenden Tutsi“. Anhand des eines Korpus autobiografischer Texte zeigte Anne D. PEITER welche Rhetoriken und Schmähungen dem Genozid der Hutu an den Tutsi in Ruanda 1994 vorausgingen und wie diese nachwirkten. 

Anschließend stellte der Historiker Yannick SANDBERG die Arbeitsergebnisse einer studentischen Projektgruppe vor, die sich an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zum Thema „Ritualmordlegenden – Antijüdische Fake News” konstituiert hatte. Herausgekommen war nach über zweijähriger Arbeit eine Webausstellung mit rund 150 thematischen Texten und über 600 Exponaten aus verschiedenen Medien. Yannick SANDBERG zeichnete anhand dreier Fallbeispiele die Entstehung und Verbreitung antijüdischer Fake News in Form der Ritualmordlegende nach und zeigte in diesem Kontext auf, welchen Einfluss Fake News aus dem Mittelalter noch heute haben.
Nach so viel Input zu ernsten Themen hatten wir uns die Mittagspause verdient. Während ein Teil der Gruppe bei einem Spaziergang das Gehörte und Diskutierte reflektierte, bereiteten andere Teilnehmenden das Mittagessen zu: Pasta Bolognese und vegetarisches Risotto.

Der Nachmittag stand dann ganz im Zeichen der Meldeportale. Ina GOEDERT, von der LMS Saar stellte eine saarländische best practice vor: Courage im Netz – Gemeinsam gegen Hass und Hetze.

Anschließend trug Günter BRESSAU, Leiter des Fachbereichs Projektförderung/ Internationale Programme bei der Jugendstiftung sowie Koordinator der Meldestelle REspect! Gegen Hate Speech vor. Er berichtete in seinem Vortrag „Transnationales Meldeportal gegen Hate Speech und Desinformation Aufbau und Vernetzung nationaler Meldeprojekte“ über das One step beyond Erasmus+ Projekt und dessen Anschlussfähigkeit an die Meldestelle REspect. Günter BRESSAU hob dabei insbesondere die Notwendigkeit der Vernetzung vor und plädierte dafür, dass nationale Meldestellen nicht isoliert vorgehen, sondern in nationale Beratungs-, Sensibilisierungs-, Bildungs- und Sicherheitsstrukturen eingebunden werden.

Dem schloss sich eine Kaffeepause an, bei der wir uns an leckerem Kuchen – an dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank an Meisterbäckerin und IDP-Leiterin Dr. Tomke LASK– stärken konnten, der auf einem Twitter kompatiblen Brettchen geschnitten wurde, wie Sabrina KIRSCHNER, verantwortlich für die Vernetzungsstelle Speak Up!, in einem Tweet anmerkte.

Die Kaffeepause ging nahtlos in eine Arbeitsphase über, in denen die Teilnehmenden in Kleingruppen wahlweise über wissenschaftliche Begleitprojekte zu Meldestellen oder die Fragestellung „Wie kann ich mein Umfeld für den Umgang mit Fake News und Hate Speech sensibilisieren?“ beratschlagen konnten. Günter BRESSAU freute sich, von den Anwesenden wichtigen Input und Hinweise auf potentiell interessierte Wissenschaftler*innen für die Konzeption eines wissenschaftlichen Begleitprojekts zur Meldestelle erhalten zu haben.

Gegen kurz vor 19 Uhr, nach einer kurzen Besprechung der im Etherpad gesammelten Arbeitsergebnisse, haben wir dann nach der Aufnahme eines Gruppenfotos unsere Tagesgäste verabschiedet; weitere Fotos vom Donnerstag finden sich übrigens in der Fotogalerie.

Herzlichen Dank an alle, die am Donnerstag dabei waren und unsere zahlreichen Arbeits- und Diskussionsphasen bereichert haben <3



Gruppenfoto am Montag
Arbeitsgruppen am Montag
Weltcafe & Museumsgang am Montag
Vorträge am Montag
Vorträge am Montag
Arbeitsgruppen am Montag
Arbeitsgruppen am Montag
Weltcafe & Museumsgang am Montag
Weltcafe & Museumsgang am Montag
Weltcafe & Museumsgang am Montag
Weltcafe & Museumsgang am Montag
Kochen und Essen am Montag

Heute setzen wir unseren kleinen Rückblick auf die nunmehr zweite interdisziplinäre und internationale #SpeakUpOstbelgien Tagung fort, die zwischen dem 09. und 14. Oktober 2022 im ostbelgischen Lontzen stattfand.

Veranstaltet wurde die Tagung vom Eupener Institut für Demokratiepädagogik in Kooperation mit der Vernetzungsstelle Speak Up! Thematisch ging es an fünf Thementagen (Montag: politische Bildung, Dienstag: Medien- und Informationskompetenz, Mittwoch: Speak Up! macht Schule, Donnerstag: Hate Speech, Freitag: Politik) um Fake News und Hate Speech als gesellschaftliche Herausforderungen.

Zu den Vortragenden zählten neben Menschen aus der ostbelgischen Zivilgesellschaft  Fachkräfte sowie Wissenschaftler*innen aus dem In- und Ausland, die sich im Vorfeld um eine Teilnahme bewerben konnten, wie man hier nachlesen kann. 

Am Montag startete jedenfalls das offizielle Programm des Retreats mit einem Thementag zur politischen Bildung. Eröffnet wurde er mit Grußworten von Institut für Demokratiepädagogik-Leiterin, Dr. Tomke Lask, und Sabrina Kirschner, die am Institut für Demokratiepädagogik als Referentin arbeitet und die Vernetzungsstelle Speak Up! leitet. Tomke Lask freute sich, dass die Veranstaltung nunmehr zum zweiten Mal stattfand “Die Speak Up! Tagung hat nun einen festen Platz im Kalender des IDP, der Vernetzungsstelle Speak Up! und – worüber wir uns besonders freuen – auch der ostbelgischen Zivilgesellschaft.”
Im Vorfeld hatte zudem der ostbelgische Ministerpräsident Oliver Paasch ein Grußwort übermittelt, das die Teilnehmenden auch in Gänze im Retreat Reader nachlesen konnten: „Dass Sie in den kommenden Tagen in Ostbelgien zusammenkommen, um gemeinsam über Fake News und Hate Speech in unterschiedlichen Bereichen wie Bildung, Medien und Politik zu sprechen, nachzudenken und Handlungsstrategien zu entwickeln, zeigt, dass Speak Up! ein Erfolgsmodell ist. […] Ich wünsche Ihnen auf der zweiten Speak Up! Tagung viele erkenntnisreiche Vorträge, spannende und bereichernde Austausche und neue Möglichkeiten der Vernetzung.“

Die thematische Eröffnung der Tagung erfolgte durch Sabrina Kirschner, die einen Einführungsvortrag zum Thema Chancen und Herausforderungen beim gesellschaftlichen Umgang mit Fake News und Hate Speech bzw. Speak Up! – von der ostbelgischen zivilgesellschaftlichen Initiative zur transnationalen Vernetzungsstelle hielt und dabei den thematischen Rahmen der Tagung – die als Retreat konzipiert war – absteckte: „Für unsere Tagung haben wir in diesem Jahr die Form des Retreats gewählt. Ein Retreat ist ein geschützter Raum, in dem eine offene und familiäre Form des fachlichen Austauschs auf Augenhöhe stattfindet. An jedem Tag nehmen wir uns einen anderen Aspekt von Fake News und Hate Speech vor.“ Miriam Montag-Erlwein, die als Forscherin bis dato vorwiegend wissenschaftliche Tagungen besucht hatte, konnte dem Konzept des Retreats viel abgewinnen: „Das fand ich persönlich sehr bereichernd“, schließlich konnte sie nicht nur neuen Input zum Umgang mit Fake News und Hate Speech mitnehmen, sondern auch Informationen „über andere Bildungssysteme und das politische Miteinander in Ostbelgien.“

Im Eröffnungsvortrag ging Sabrina Kirschner auch auf die Vernetzungsstelle Speak Up! ein, die im Juni diesen Jahres aus dem gleichnamigen ostbelgischen Bündnis hervorgegangen war. Der Vernetzungsstelle haben sich seit der Gründung im Juni jedenfalls 11 Einzelpersonen und 12 Institutionen aus dem In- und Ausland angeschlossen, darunter natürlich die Gründungsmitglieder des Speak up! Bündnisses, zu denen das Institut für Demokratiepädagogik, das Medienzentrum, Kaleido sowie der Wegweiser Ostbelgien zählen. Dazu gesellten sich zudem die Jugendinfo Ostbelgien und die Verbraucherschutzzentrale sowie aus Deutschland die Fachstelle Extremismusdistanzierung (fexbw), das HAIT an der TU Dresden, die Meldestelle RE:spect, die Stadtbibliothek Aachen und aus Bulgarien die Ethnic Harmony Foundation sowie YMCA Dobrich, wie sich hier nachlesen lässt. Nach der Tagung – das ließ sich schon aus den Pausengesprächen ableiten – werden sicherlich einige mehr folgen. 

Überdies umriss Sabrina Kirschner noch einmal das Konzept der Tagung und berücksichtigte dabei auch die Ergebnisse der kleinen Umfrage, die alle Teilnehmenden mit ihren Anmeldeunterlagen eingereicht hatten. Abgefragt wurden dabei Berührungspunkte mit und Interesse an Fake News bzw. Hate Speech sowie die Erwartungen an das Retreat. Fest stand: das Gros der Teilnehmenden hoffte auf fachlichen Input und Austausch sowie die Erweiterung ihres eigenen Netzwerks und Inspiration für neue Projekte. Sabrina Kirschner zeigte sich zuversichtlich, dass die kommenden Tage die Erwartungen erfüllen würden, schließlich waren die Programmpunkte darauf ausgelegt, einen regen Austausch auf Augenhöhe und das Voneinanderlernen zu ermöglichen. Gerade deshalb gebe es, anders als bei klassischen wissenschaftlichen Tagungen, auch keine sperrigen Namensschilder mit Titeln und Institutionen, sondern lediglich ein Klebchen fürs Oberteil, auf das jede*r selbst den eigenen Vornamen schreiben konnte.   
Dies fiel auch Ann Nguyen, Bachelor-Studentin an der Universität Passau, positiv auf. Die angehende Politologin zählte zu den jüngeren Teilnehmenden des Retreats und konnte bei den anderen Teilnehmenden mit ihrer Expertise als Content Creatorin auf TikTok punkten. Ann freute sich über die Möglichkeit, ihren fachlichen Horizont zu erweitern und neue Impulse für ihr Studium mitzunehmen. Und auch Historikerin Miriam Montag-Erlwein erhielt neue Einsichten “Ich denke, dass auch wir von Ann Nguyen lernen konnten, gerade was die Art und Weise, wie die junge Generation mit Social Media umgeht, anbelangt. Zudem teilte sie mit uns ihre persönlichen Erfahrungen mit der Problematik um Fake News und Hate Speech auf Social Media.”

Abschließend ging Sabrina Kirschner auf die Chancen und Herausforderungen ein, die für die Zivilgesellschaft mit Fake News und Hate Speech einhergehen. Dabei leitete sie zum Weltcafe über, in dem es um den gesellschaftlichen Umgang mit Fake News und Hate Speech als gesellschaftliche Herausforderungen ging. In kleinen Gruppen wanderten die Tagungsteilnehmenden dabei durch die beiden Tagungshäuser und schrieben ihre Gedanken auf Papiertischdecken. Spannend wurde es ab dem zweiten Durchgang, denn hier konnte jede*r das sehen, was die vorherigen Tischgäste geschrieben hatten: Es entstand also ein Dialog, den einige Teilnehmer*innen auch fotografisch dokumentiert haben, wie sich der Fotogalerie entnehmen lässt. Dem Weltcafe schloss sich ein Museumsgang an, bei dem alle Tischdecken noch einmal im Plenum besprochen wurden.
Für die Bonner Linguistin Karolina Küsters legten das Weltcafé und die Besprechung der Arbeitsergebnisse im Plenum während des Museumsgangs eine solide Basis für die Retreat-Aktivitäten der folgenden Tage: „Der dynamische und schnelllebige Austausch von Gedanken zu den unterschiedlichen Teilbereichen hat dazu geführt, dass wir schon am ersten Tag ein Sammelsurium an praktischen, theoretischen, wissenschaftlichen und intuitiv erarbeiteten Begriffen, Inputs und Inspirationen im Kopf herumschwirren hatten, die uns die darauffolgenden Tage weiter begleitet haben”. Ähnlich sah dies Miriam Montag-Erlwein von der Uni Würzburg: „Das fand ich sehr bereichernd, da die Teilnehmenden so ins Gespräch miteinander kamen. Durch den sich anschließenden Museumsgang sowie die Gespräche bereits im Vorfeld ergaben die Beiträge neue Aspekte auch für einen selbst und die weitere Arbeit.“

Anschließend erfolgte das gemeinsame Zubereiten des Mittagssnacks, zugegebenermaßen recht untypisch für eine Tagung, allerdings mit dem Hintergedanken, auch beim gemeinsamen Kochen ins Gespräch zu kommen. Dass dies funktionierte, bestätigte Teilnehmerin Anne Lohe: „Ich hatte mir die Selbstversorgung sehr rustikal vorgestellt, aber sie hat Spaß gemacht. Gemeinsam Gemüse schnippeln und dabei sich kennenlernen, einfach nebenbei ins Gespräch kommen. Wunderbar.“ Beim Mittagessen konnte der informelle Austausch fortgesetzt werden.

Danach begann die Arbeit in den selbst gewählten Arbeitsgruppen. Dr. Tomke Lask und Sabrina Kirschner vom IDP sowie Maximilian Kreter vom HAIT, Jonas Israel von der Düsseldorfer Landeszentrale für politische Bildung und Patricia Feider vom Luxemburger Zentrum fir politesch Bildung bildeten dabei auf der Terrasse die Arbeitsgruppe politische (Medien)Bildung, zumal das ZFP in Luxemburg und das IDP in Ostbelgien ähnliche Aufgaben übernehmen, wie in Deutschland die Landeszentralen. Gemeinsam tauschten sich die fünf in lockerer Atmosphäre über Trends der politischen Medienbildung aus, reflektierten über bestehende und neue Formate und berieten sich über zukünftige Kooperationsmöglichkeiten – beispielsweise im Bereich der Podcasts –, wie IDP-Leiterin Dr. Tomke Lask anmerkte.

Abschließend stand der Vortrag Wie kann die politische Bildung posi- und konstruktiv mit Fake News und Hate Speech umgehen? von Jonas Israel von der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen auf dem Programm, dem sich spannende Diskussionen über (politische) Medienbildung, Aufmerksamkeitsspannen und die Nutzung von Social Media anschlossen. Jonas Israel stellte verschiedene Angebote der nordrhein-westfälischen Landeszentrale für politische Bildung vor: das Fake News Game, das Medienprojekt Mach doch! und das Themenspecial Unser digitales Leben gestalten vor. Jonas’ Handlungsempfehlungen im Vortrag: Macht mehr aktivierende Projekte, probiert euch aus und gestaltet Angebote multimedial. Besonders wichtig war Jonas Israel allerdings, dass man das Rad nicht neu erfinden muss: “Wir müssen nicht immer alles neu entwickeln, sondern können auf die bestehenden guten Angebote der Medienpädagogik und politischen Bildung zurückgreifen und diese einsetzen. Dafür bieten sich besonders CC-Lizenzen an, mit denen Medien unkompliziert auch von anderen Menschen oder Institutionen genutzt werden können.”
Miriam Montag-Erlwein, selbst ausgebildete Lehrerin und nun Fachdidaktikerin an der Uni Würzburg merkte an “Der Vortrag zeigte, dass man als Lehrkraft nicht alle Inhalte – gerade wenn es um heikle Themen wie Fake News geht –  nicht selbst erfinden oder sich aneignen muss. Es gibt bereits sehr gute Angebote, die sich in den Unterricht einbinden lassen.”

Anschließend erfolgte eine kurze Besprechung der im Retreat-Etherpad gesammelten Arbeitsergebnisse und eine Rückschau auf den Tag, bei der die Teilnehmenden in einem kurzen Blitzlicht noch einmal kurz äußern konnten, was sie bewegte. Anne Lohe von der Stadtbibliothek Aachen äußerte sich ähnlich wie andere Teilnehmende: „Als Praktikerin habe ich sehr viel von dem ersten Tag mitgenommen –  endlich einmal die eigene Arbeit in einen größeren Zusammenhang sehen, reflektieren und den Facettenreichtum erahnen.“
Gegen kurz vor 19 Uhr haben wir dann nach der Aufnahme eines Gruppenfotos unsere Tagesgäste u.a. vom Eupener Zentrum für Förderpädagogik, dem luxemburgischen Zentrum für politische Bildung und aus Deutschland (Landeszentrale für politische Bildung NRW sowie Stadtbibliothek Aachen) verabschiedet und uns an die Zubereitung des Abendessens begeben: Stoofvlees mit oder ohne Fleisch und Spätzle bzw. Reis.
Herzlichen Dank an alle, die am Montag dabei waren und unsere zahlreichen Arbeits- und Diskussionsphasen bereichert haben!

 












Heute starten wir unseren kleinen Rückblick auf die nunmehr zweite interdisziplinäre und internationale #SpeakUpOstbelgien Tagung, die zwischen dem 09. und 14. Oktober im ostbelgischen Lontzen stattfand. Veranstaltet wurde die Tagung vom Eupener Institut für Demokratiepädagogik in Kooperation mit der Vernetzungsstelle Speak Up!

Thematisch ging es um Fake News und Hate Speech als gesellschaftliche Herausforderungen.  Zu den Vortragenden zählten neben Menschen aus der ostbelgischen Zivilgesellschaft auch Fachkräfte sowie Wissenschaftler*innen aus dem In- und Ausland, die sich im Vorfeld um eine Teilnahme bewerben konnten.

Sabrina Kirschner, verantwortlich für die Vernetzungsstelle Speak Up!, schrieb dazu im Sommer auf Instagram: „Obwohl unsere Tagung in diesem Jahr hauptsächlich deutschsprachig ist, haben uns Vorschläge aus sieben Ländern erreicht, nämlich Belgien, Bulgarien, Deutschland, Italien, Österreich, Frankreich und den Niederlanden. Wir am Institut für Demokratiepädagogik bzw. der Vernetzungsstelle Speak Up! haben nun also mehr als 100 Seiten an Abstracts und Lebensläufen zu lesen.  Es wird also […] richtig schwer, eine Auswahl zu treffen“.

Ähnlich äußerte sich IDP-Leiterin, Dr. Tomke Lask: „Es ist ein wichtiges Zeichen für unsere Arbeit, wenn auch eine Nachfolgetagung zu diesem Thema weiterhin so viele Menschen anspricht. Schließlich heißt dies einerseits, dass noch nicht alles zum Thema gesagt wurde, und andererseits dass es weiterhin engagierte Menschen in der Wissenschaft und in der Zivilgesellschaft gibt, die sich um neue Angebote, Analysen und Herangehensweisen bemühen, damit sie als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren möglichst viele Zielgruppen erreichen können“.

Nachdem alle Abstracts gelesen waren, erhielten dann im Spätsommer dann alle Bewerber*innen eine Zu- oder Absage. Dr. Miriam Montag-Erlwein, Historikerin an der Universität Würzburg, freute sich, dass der Bewerbungsprozess stets transparent war und die Rückmeldung zügig erfolgte. 

Im September konnte ein erstes Programm erstellt werden, das durch die COVID-Pandemie noch ein paar Mal durcheinandergewürfelt wurde. “Letzte Corona bedingte Absagen von Vortragenden erfolgten am Samstag Nachmittag, so dass die Arbeitsphasen noch einmal völlig umgeplant werden mussten. Praktischerweise waren fast alle Vortragsslots doppelt besetzt und einige Pandemiebetroffene schickten Aufzeichnungen, so dass die Ausfälle beim Input abgefedert werden konnten. Hier auch noch einmal ein großes Lob an alle Teilnehmenden, die in den Arbeitsphasen in den zusammengeschrumpften Gruppen improvisiert haben”, merkte Sabrina Kirschner an.

Im Spätsommer begann jedenfalls auch Arbeit am Retreat Reader. Dieser, so erklärt Sabrina Kirschner, ist ein Erfolgsmodell der letztjährigen Tagung: „Es handelt sich dabei um ein recht umfangreiches Dokument, in dem alles Wichtige rund um die Tagung aufgelistet wird: Vom Hinweisen zur Anreise zum Tagungsort über das Programm bis hin zu Vorstellungstexten und Kontaktdaten der Tagungsteilnehmer*innen sowie Abstracts zu Vorträgen und Workshops. Das hat u.a. den Vorteil, dass wir uns vor Ort die Vorstellungsrunde sparen und die Zeit sinnvoller nutzen können. Zudem ist es möglich, schon im Vorfeld zu schauen, mit wem man sich unterhalten oder vernetzen möchte. Von den Teilnehmenden des letzten Jahres gab es die Rückmeldung, dass der Conference-Reader noch immer im Einsatz ist, wenn es beispielsweise um die Suche von Referent*innen für Veranstaltungen oder Projektpartner*innen geht“.

Auch der diesjährige Reader stiess auf Anklang: “Der Reader war die ideale Vorbereitung während der Zugfahrten, um sich mit den individuellen Hintergründen und Zugängen der anwesenden Kolleg*innen schon vor der Tagung vertraut zu machen. Vom Programm der Tagung bis hin zu praktischen Tipps zur Anreise – die Fülle an Informationen war sehr hilfreich”, meinte Retreat-Teilnehmer Michael Fasching von der Universität Graz.
“Ich kann mich Michaels Ausführungen nur anschließen. Auch die anderen Auskünfte rund um den Tagungsort sowie die Gruppen und das Etherpad waren sehr hilfreich. Auf meiner langen Zugfahrt konnte ich mich damit sehr gut auf die Tagung vorbereiten”, fügte Mariam Montag-Erlwein hinzu.
Isabella Ferron, Forscherin an der Universität Modena und Reggio Emilia freute sich, dass im Reader bereits Abstracts, also kurze Zusammenfassungen der Vorträge und Workshops, abgedruckt waren und zeigte sich vom sehr hohen Niveau der ausgewählten Vortragenden beeindruckt.

Wichtig war es den Veranstalter*innen allerdings auch, nicht nur Transparenz über das geplante Programm zu schaffen, sondern auch das Feedback der letztjährigen Tagungteilnehmer*innen aufzunehmen, was sie auch in ihrer Pressemitteilung unterstrichen. Während sich im letzten Jahr einige Interessent*innen beklagten, dass die Veranstaltung ihr Zeitbudget sprengte, sollte es in diesem Jahr für Menschen aus der ostbelgischen Zivilgesellschaft und angrenzenden Euregio möglich sein, auch nur tageweise an der Veranstaltung teilzunehmen. Dazu wurden die ausgewählten Vorträge und Workshops in Thementage geclustert, die so als Weiterbildung besuchbar waren. Am Montag stand der Thementag politische Bildung auf dem Programm, am Dienstag ging es um Medien- und Informationskompetenz, am Mittwoch folgte der Aktionstag Speak Up! macht Schule, der insbesondere Lehrpersonen ansprechen sollte, und am Donnerstag wurde die Hate Speech Thematik beleuchtet. Der abschließende Freitag war dem Bereich der Politik gewidmet.

Ein weiterer Kritikpunkt im letzten Jahr war das Essen, insbesondere die Vegetarier*innen und Veganer*innen sahen beim Mittag- bzw. Abendessen Luft nach oben. Aus der Not wurde eine Tugend gemacht, die diesjährige Tagung hat das gemeinsame Kochen – auch landestypischer Spezialitäten –  als Networking Aktivität aufs Programm gesetzt. So wurde auch dem Kritikpunkt Rechnung getragen, dass es im vergangenen Jahr zu wenig Zeit für den informellen Austausch gab. Miriam Montag-Erlwein, die aus Bayern nach Ostbelgien gereist war, merkte an “Auch das Eingehen auf die Vegetarier, Veganer sowie Allergiker war sehr aufmerksam und durchdacht!”

Die Veranstalterinnen vom Institut für Demokratiepädagogik und der Vernetzungsstelle Speak Up! freuten sich jedenfalls darüber, dass sich rund 50 Teilnehmende aus (Ost)Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und Österreich in Lontzen zur zweiten interdisziplinären und internationalen Speak Up! Tagung, dem Speak Up! Retreat zum Thema Fake News und Hate Speech als gesellschaftliche Herausforderungen angekündigt hatten, worüber auch das Grenzecho im Vorfeld der Tagung berichtete.  
Im Vorfeld der Tagung berichteten allerdings nicht nur die Medien, sondern einige der Vortragenden und Teilnehmenden über ihre Vorbereitungen für das Retreat. Passende Hashtags – nämlich #SpeakUpRetreat und #SpeakUpOstbelgien wurden übrigens im Vorfeld über den Retreat Reader kommuniziert.

Während des Retreats an sich wurde eher weniger bei Instagram gepostet und getwittert, was an sich ein gutes Zeichen ist, da alle den Vorträgen lauschten, aktiv an Workshops teilnahmen, oder sich in Diskussionen und Arbeitsgruppen einbrachten.

Vom 09. – 14. Oktober 2022 veranstaltet das Institut für Demokratiepädagogik gemeinsam mit der Vernetzungsstelle Speak Up! auf Hof Luterberg in Lontzen die zweite internationale und interdisziplinäre Speak Up! Tagung, für die sich Interessierte aus (Ost)Belgien, Deutschland und Luxemburg angemeldet haben. Speak Up! ist eine internationale Vernetzungsstelle, die im Sommer 2022 aus dem gleichnamigen ostbelgischen Bündnis hervorgegangen ist und dessen Ziele fortsetzt. Nämlich, innerhalb der Gesellschaft zu einem reflektieren Umgang mit Fake News und Hate Speech anzuregen und Handlungsoptionen aufzuzeigen.

Institutionelle Mitglieder der Vernetzungsstelle  sind neben den Speak Up! Gründungsmitgliedern, dem Institut für Demokratiepädagogik (IDP), Wegweiser Ostbelgien, Kaleido und dem Medienzentrum auch weitere Institutionen und Initiativen, mit denen die Vernetzungsstelle seit der ersten Speak Up! Tagung kooperiert, darunter: aus Ostbelgien beispielsweise Jugendinfo und die Verbraucherschutzzentrale, aus Deutschland das das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der TU Dresden, die Fachstelle Extremismusdistanzierung oder die Meldestelle „REspect! Gegen Hetze im Netz“ der Jugendstiftung Baden-Württemberg.

Sabrina Kirschner vom Institut für Demokratiepädagogik, die die Vernetzungsstelle Speak Up! leitet, umreißt das Konzept der zweiten Tagung: „Mit erfahrenen Menschen aus der Praxis, innovativen Wissenschaftler*innen und engagierten Vertreter*innen der ostbelgischen Zivilgesellschaft – darunter, was mich sehr freut, auch einige, die im vergangenen Jahr schon dabei waren – möchten wir auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse wieder praktische und anwendungsorientierte Formate zum Umgang mit Fake News und Hate Speech entwickeln, die wir in unserem (Berufs-)Alltag bzw. im Ehrenamt nutzen können. Dabei knüpfen wir an das an, was sich bei der ersten Tagung bewährt hat. Wir freuen uns wieder auf spannende Inputvorträge und Workshops, brainstormen gemeinsam in einem Worldcafé und haben wieder interdisziplinäre und internationalen Kleingruppen eingerichtet, in denen ein Austausch auf Augenhöhe stattfindet und Ideen und Konzepte geschmiedet werden. Neu sind hingegen Formate, wie ein Design-Sprint bzw. Planspiele. Ebenso ist der Tagungsort neu, nämlich ein Selbstversorgerhaus in Lontzen. So steht dann dieses Jahr auch der Austausch und das Netzwerken an ungewöhnlichen Orten  auf dem Programm: beim gemeinsamen Zubereiten der Mahlzeiten in der Küche, beim morgendlichen Jogging oder eben bei einem Spaziergang durch die idyllische ostbelgische Landschaft.“

Das Interesse für die deutschsprachige Veranstaltung war jedenfalls sehr groß. Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen aus den Belgien, Bulgarien, Deutschland, Italien, Österreich, den Niederlanden und sogar der aus dem französischen Übersee-Département Réunion haben sich um eine Teilnahme an der Tagung beworben, weil sie über aktuelle Forschung und Projekte zu Fake News und Hate Speech mit der ostbelgischen Zivilgesellschaft ins Gespräch kommen wollen. Ausgewählt wurden letztendlich 22 von ihnen, die nun auch gemeinsam mit Vertreter*innen der ostbelgischen Zivilgesellschaft innovative Konzepte zum Umgang mit Fake News und Hate Speech erarbeiten und ausprobieren werden.

IDP-Leiterin Dr. Tomke Lask betonte: „Das Team des IDPs war auch in diesem Jahr über das Interesse, das unserem Aufruf entgegengebracht wurde, sehr positiv überrascht. Auch über das gestiegene ostbelgische Interesse an der Thematik haben wir uns sehr gefreut“. 

Das Programm finden Sie hier: Programm Speak Up! Lontzen



Zug der Demokratie

Am 10. März 2022 organisierten das Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens (PDG) und das Institut für Demokratiepädagogik (IDP) zum ersten Mal gemeinsam den Zug der Demokratie in das PDG in Eupen. Dieses Format zur politischen Bildung von Primarschüler*innen, das das Zentrum fir politesch Bildung in Luxemburg entwickelt hat und seit ein paar Jahren einmal pro Jahr durchführt, haben wir an die ostbelgischen Bedingungen angepasst.

Im Prinzip geht es darum, dass Grundschulklassen sich mit einem vorgegebenen Thema auseinandersetzten, das sie dann mit Politiker*innen im Parlament debattieren. In Vorbereitung auf den Zug der Demokratie erhalten die Schulklassen dazu eine Karton-Silhouette, die aus einem Kind und einem Erwachsenen mit Schärpe in den Landesfarben besteht.

Darauf können die Schüler*innen festhalten, was sie selbst zu diesem Thema in ihrem Alltag beitragen können, aber auch, das was sie sich von den Politiker*innen erhoffen. Damit ziehen die Schulklassen dann ins Parlament. Jede Klasse diskutiert zuerst mit ihr zugeordneten Abgeordneten über ihre Vorschläge und Forderungen. Dann wird im Plenarsaal vorgetragen, was die Debatte ergeben hat.

Die ostbelgischen Primarschulen, die sich auf das Angebot hin angemeldet hatten, bekamen im Vorfeld einen Workshop, um die Schülern*innen vorab mit dem Konzept Demokratie, dem Parlament und dem Thema vertraut zu machen.

 Am 10. März zogen dann die Kinder aus der Maria-Goretti-Grundschule Sankt Vith und der Gemeindegrundschule Raeren mit ihren Pappkameraden ins Parlament ein. Aus Nachhaltigkeitsgründen sind die Figuren allerdings aus Sperrholz, damit sie wiederverwendet werden können. Der Austausch in den Kleingruppen und im Plenarsaal war für die Schüler*innen und Abgeordneten eine neue und bereichernde Erfahrung.

Damit ist jetzt das bestehende Angebot des PDG um einen weiteren Baustein für Schüler*innen der 4. Primarschulklasse erweitert worden. Wir hoffen, dass wir durch den Zug der Demokratie auch auf andere Angebote des PDG und IDPs haben aufmerksam machen können und freuen uns auf die zukünftige Zusammenarbeit mit Schulklassen aus Ostbelgien.

Dr. Tomke Lask, Institut für Demokratiepädagogik, AHS Ostbelgien

Kontext und Aufbruch:

Am 25. November 2021 brach eine vierköpfige ostbelgische ‚Delegation‘ nach Brandenburg an der Havel auf: Lena Champenois und Elisa Kern, zwei Schülerinnen der Pater Damian Schule in Eupen, Jörg Lentzen, Theaterpädagoge der Eupener Musikakademie und die wissenschaftliche Leiterin des Institutes für Demokratiepädagogik (IDP), Tomke Lask.

Sie wollten dort am nächsten Tag dem Prozess gegen den 101-jährigen mutmaßlichen SS-Wachmann, Josef Schütz, beiwohnen. Dieser ist angeklagt zwischen 1941 und 1945 Beihilfe zu tausendfachem Mord im Konzentrationslager Sachsenhausen geleistet zu haben.

Bahnfahrt
Bahnfahrt

Abbildung 1 Bahnfahrt nach Brandenburg – Jörg Lentzen und Lena Champenois

Abbildung 2 Bahnfahrt nach Brandenburg – Elisa Kern und Tomke Lask

Sie wollten dort am nächsten Tag dem Prozess gegen den 101-jährigen mutmaßlichen SS-Wachmann, Josef Schütz, beiwohnen. Dieser ist angeklagt zwischen 1941 und 1945 Beihilfe zu tausendfachem Mord im Konzentrationslager Sachsenhausen geleistet zu haben.

 

Aber wie kam es dazu, dass wir ausgerechnet zu diesem Prozess aus Ostbelgien nach Brandenburg fuhren?

 

Seit September 2019 koordiniert das IDP ein Erasmus+ Projekt. Es heißt Musik & Politik und wird zusammen mit der Deutschen Kinder und Jugend Stiftung (DKJS) und dem Luxemburger Zentrum fir politesch Bildung (ZpB) durchführt. Dazu gehört unter anderem das Jugendprojekt „(S)innfluence your World“, das sich mit den Themen der politischen Einflussnahme und Manipulation durch Musik, Tanz und Sprachkunst auseinandersetzt. Das Jugendprojekt ist Gegenstand eines Dokumentarfilms und wird von Regisseur Hans-Erich Viet und seinem Team begleitet. Bei dem Projekt geht es darum, Gefühle, wie Freude, Angst, Wut und Trauer kreativ erfahrbar zu machen, und zu erkennen, wie man durch bestimmte Muster künstlerischer Ausdrucksformen beeinflusst wird oder selbst sinngebend agieren kann. Hans-Erich Viet hatte die Idee, dass die Konfrontation mit der Gefühlswelt eines Täters des Nazi-Regimes und seiner Opfer hilfreich bei diesem kreativen Findungsprozess der Jugendlichen sein könnte. Es war nicht schwierig eine Brücke zwischen Sachsenhausen und Ostbelgien zu schlagen. Henri Michel, der ab 1927 Chefredakteur der Eupener Tageszeitung Grenzecho war und die belgische Zugehörigkeit der damals sogenannten Ostkantone verteidigte, war den Nazis ein Dorn im Auge. Die Gestapo verhaftete ihn im Jahr 1940 in Brüssel. Er kam als politischer Gefangener nach Sachsenhausen, wo er viereinhalb Jahre interniert war und wie durch ein Wunder die Misshandlungen im Konzentrationslager überlebte.

 

Über diesen Teil der Regionalgeschichte wussten Lena und Elisa nicht viel. Bei Nachfragen in der Schule wurden die Schülerinnen aus dem 4. Jahr der Sekundarschule immer auf später vertröstet, wenn das Thema im Rahmenplan stünde. Sie meinten, dass dies zu spät war und Fragen zu jeder Zeit in der Schule beantwortet werden müssten. Sie waren daher sehr gespannt auf das, was sie in Eigenregie entdecken würden. Sie recherchierten im Internet, befragten die einschlägigen Institutionen in Ostbelgien und informierten sich in Kommunalverwaltungen, um herauszufinden, ob es auch in Ostbelgien Menschen gegeben hatte, die im KZ Sachsenhausen inhaftiert gewesen sind. Sie besuchten sogar die Tochter eines Überlebenden. Insgesamt trugen sie 33 Namen zusammen. Von Burg Reuland über Ouren, St. Vith, Malmedy, Eupen, Welkenraedt, Hauset, Montzen, Henri-Chapelle, Kelmis, Moresnet bis nach Gemmenich gab es Opfer. Lena und Elisa waren erstaunt, dass sie davon noch nie etwas in der Schule gehört hatten.

Fragen:

Während unserer Zugreise hatten wir sehr viel diskutiert und uns die Fragen aufgeschrieben, die sich während der Recherche angesammelt hatten. Wir wollten wissen, warum nach so vielen Jahren plötzlich so ein alter Mann noch vor Gericht gestellt wird. Warum war das nicht schon vorher passiert? Wie konnte man solche Menschen noch für ihre Taten bestrafen, wenn es keine Augenzeugen mehr gab? Wem bringt das noch etwas, wenn man jetzt einen Täter bestraft? Wir wollten aber auch einen Anwalt der Nebenklage befragen, wie die Rechtsprechung der Nazi-Zeit seit der Nachkriegszeit im Jura-Studium aufgearbeitet wird. Hatte die Bundesrepublik Deutschland etwas daraus gelernt? Wie verarbeitet ein Rechtsanwalt die ganzen schrecklichen Beschreibungen von Folter, Totschlag und systematischer Vernichtung menschlichen Lebens? Wie geht er mit den Gefühlen der Ohnmacht, Wut und Trauer um, mit denen man bei der Auseinandersetzung mit diesen Schicksalen konfrontiert wird? Gibt es Gerechtigkeit oder nur Rechtsprechung? …

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Rechtsanwalt Thomas Walther:

Am Abend des 25. Novembers 2021 trafen wir nach einer sehr langen und abenteuerlichen Zugfahrt in Brandenburg an der Havel ein. Nach dem Abendessen gesellte sich Thomas Walther, einer der Anwälte der Nebenklage im Prozess und pensionierter Richter, zu uns an den Tisch. Hans-Erich Viet hatte ihn darum gebeten, denn er wollte uns allen, aber besonders Elisa und Lena, die Gelegenheit geben, vor dem Prozess schon Fragen zu stellen.

 

Thomas Walther beschäftigt sich seit vielen Jahren beruflich und sehr tiefgehend mit Tatpersonen und Opfern des Holocausts. Im Jahr 2006, ein paar Jahre vor seiner Pension als Richter, nahm er die Gelegenheit wahr, an die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg zu wechseln. Er wollte noch etwas zur Aufarbeitung der Vergangenheit leisten und der Justiz Gelegenheit geben, Versäumtes nachzuholen. Aber dazu musste er juristische Mittel finden, denn es gab ja praktisch keine Zeitzeugen mehr, die einen Täter hätten erkennen können, damit ein Mord eindeutig definiert werden konnte. Aber genau wie Mord verjährt Beihilfe zum Mord nicht. Das bedeutete, dass jeder, der mit seiner Arbeit den reibungslosen Ablauf des KZ-Alltags unterstützte, sich schuldig gemacht hatte. Auf dieser Basis konnte Thomas Walther in den letzten zehn Jahren noch den einen oder anderen NS-Verbrecher vor Gericht bringen:

 

  1. Ivan Demjanjuk war ein Ukrainer, der u.a. im Vernichtungslager Sobibor der SS als Scherge gedient hatte. Im Jahr 2011 wurde er zu fünf Jahren Haft verurteilt, die er nicht antrat, weil sein Fall in Revision ging, und er dann 92-jährig verstarb. Im Jahr 2015 wurde das private Fotoalbum des SS-Untersturmführers Johann Niemann , der Angehöriger der Lagermannschaft des Vernichtungslagers Sobibor war, gefunden. Unter den 300 Fotos waren auch einige, die Demjanjuk eindeutig identifizierten. (https://de.wikipedia.org/wiki/John_Demjanjuk )
  2. Oskar Gröning, auch der Geldzähler von Auschwitz genannt, weil er das Geld der Opfer zählte und nach Berlin brachte, wurde im Jahr 2015 in Lüneburg wegen Beihilfe zu Mord in 300.000 Fällen im Alter von 93 Jahren verurteilt. (https://www.landeszeitung.de/lueneburg/49697-sternstunde-der-deutschen-justiz-thomas-walter-zum-lueneburger-ns-prozess-mit-lzplay-video/ )
  3. Reinhold Hanning, ein deutscher SS-Unterscharführer in Ausschwitz und Sachsenhausen wurde im Jahr 2016 in Detmold wegen Beihilfe zu Mord in mindestens 170.000 Fällen verurteilt. (https://de.wikipedia.org/wiki/Reinhold_Hanning )
  4. Bruno Dey, ein SS-Wachmann im KZ Stutthof bei Danzig, wurde im Jahr 2020 zu zwei Jahren Jugendhaftstrafe auf Bewährung verurteilt, da er zur Tatzeit noch minderjährig war. (https://de.wikipedia.org/wiki/Bruno_Dey )

 

 

Im Moment ist Thomas Walther auch noch als Nebenkläger im Prozess gegen Irmgard F., der heute 96-jährigen Schreibkraft des Lagerkommandanten von Stutthof tätig (https://www.tagesspiegel.de/politik/verfahren-gegen-ehemalige-kz-sekretaerin-verzoegert-sich-96-jaehrige-angeklagte-flieht-vor-ns-prozess-und-wird-gefasst/27661220.html), sowie in unserem Fall Josef Schütz.

 

Thomas Walther berichtete, dass sich bis heute kein Angeklagter zu seinen Taten oder dem Tagesablauf in den jeweiligen KZs geäußert hätte. Schuldig gesprochen wurden sie bisher jedoch alle. Das wird bei Joseph Schütz sicher nicht anders sein. Er behauptet zwar steif und fest, dass er niemals in Sachsenhausen war, aber sein Name und seine persönlichen Daten wurden auf vielen offiziellen Dokumenten der dortigen SS-Verwaltung nachgewiesen. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis er überführt wird.

 

Das Gespräch über die juristischen Möglichkeiten über ein bisschen Gerechtigkeit für die Hinterbliebenen der Opfer der NS-Zeit war ein wichtiger Augenöffner für uns alle. Dass es sich heute gar nicht mehr um ein Verfahren handelt, das den Holocaust an sich behandelt, mutete uns seltsam an. Deswegen waren wir erleichtert, dass Mord und Beihilfe zum Mord nie verjähren. Angespannt, aber auch neugierig, gingen wir zu Bett.

26.11.2021 Brandenburg im Gericht:

Abbildung 3 Elisa und Lena versuchen einen Blick auf den Angeklagten zu erhaschen und werden dabei von Thomas Keller gefilmt

Das Gericht tagt weit ab vom Brandenburger Stadtzentrum in einer Turnhalle. Wir fahren um kurz nach 9 Uhr vom Hotel ab.

Als wir 20 Minuten später vom Parkplatz in Richtung Haupteingang der Sportanlage gehen, fährt ein Polizeiwagen mit dem Angeklagten am Hintereingang des Gebäudes vor. Lena und Elisa laufen die Böschung hoch, um einen Blick auf den Angeklagten zu erhaschen.

Er steigt mit Hilfe der Polizisten aus, versteckt sein Gesicht hinter einem blauen Karton und wird in einem Rollstuhl ins Gericht gefahren. Wir müssen aber erst durch die Sicherheitskontrolle am Haupteingang.

Zu unserer Verwunderung gibt es keine Warteschlange. Wir sind die einzigen.

Unsere Gruppe war unter dem Namen ‚belgische Delegation‘ vorangemeldet. Wir müssen unsere Mantel- und Hosentaschen leeren, Rucksäcke durchleuchten lassen, anschließend unsere Handys ausschalten, Hände desinfizieren, ein Formular für ein eventuelles Corona-Tracing ausfüllen und werden dann hereingelassen. Ich habe den Eindruck, dass man uns etwas beäugt, weil wir aus Belgien kommen, aber trotzdem Deutsch sprechen. Dass das vormals preußische Eupen-Malmedy nach dem 1. Weltkrieg als Reparationszahlung an Belgien abgegeben werden musste, weiß hier sicherlich keiner. Und deswegen auch nicht, dass es eine Minderheit in Belgien gibt, die deutschsprachig ist.

 

Wir werden noch einmal explizit darauf hingewiesen, dass keine Fotos im Gerichtssaal gemacht werden dürfen, weder vor noch während der Verhandlung. Nur die akkreditierte Presse ist dazu berechtigt, allerdings auch nur bis zehn Minuten vor Beginn der Verhandlung. Dann erfolgt ein Aufruf, den Saal mit den Kameras zu verlassen.

 

Die Stühle im Publikumsbereich sind auf Abstand verteilt. Einige sind für die Presse reserviert. Es ist irritierend zu sehen, dass keine Schulklassen anwesend sind und auch sonst nur sehr wenige Besucher. Mit den Presseleuten, ein paar Besuchern, unserem dreiköpfigen Filmteam und uns komme ich auf nur 21 Leute. Das Interesse an diesem Prozess scheint sich bei der lokalen Bevölkerung in Grenzen zu halten. Vielleicht liegt es daran, dass die Brandenburger früher zur DDR gehörten. Da galt, dass Faschisten nur auf der anderen Seite der Grenze wohnten, und alle Bürger der DDR, Antifaschisten per definitionem waren, und daher auch sind? Interesse, sich mit der Geschichte der jeweilig anderen Hälfte der Bundesrepublik Deutschland auseinanderzusetzen, gibt es wohl bis heute nicht viel. Dabei ist es ja nicht so, dass es heute keine Rechtsextremen in Ostdeutschland gäbe. Sonst wird immer das fehlende Interesse der Westdeutschen an der Geschichte und dem Lebensstil der Ostdeutschen vor der Wiedervereinigung bemängelt. Es ist immer heikel, sich mit einer anderen Perspektive auf die Geschichte auseinanderzusetzen. Es nicht zu tun, führt allerdings zur Zementierung gesellschaftlicher Grenzen.

Übergangsritus:

Niemand von uns war je zuvor bei einem Gerichtsprozess anwesend, schon gar nicht bei einem, bei dem Beihilfe zu Mord in mindestens 3.518 Fällen verhandelt wurde. Die Teilnahme an diesem Prozesstag wirkt wie ein Übergangsritus, der uns dazu befähigt, Einblicke in die Vergangenheit zu nehmen und das Gefühl für Gerechtigkeit zu schärfen. Die Feierlichkeit dieses Momentes wird uns beim Eintritt der Richter bewusst. Als ob wir Eingeweihte wären, erheben wir uns von unseren Plätzen im Einklang mit allen anderen im Publikum. Gemeinsam schweigen wir im Angesicht der Richter, Staatsanwälte, Nebenkläger und des Angeklagten in Erwartung der neuen Erfahrungen, die uns dieses Ritual bringen wird. Die Stille ist wie eine Zäsur, die uns von unserem Alltag trennt und den Weg in eine neue Welt freimacht.

 

Die Richter saßen uns in einiger Entfernung gegenüber. Rechts von ihnen, vom Publikum aus gesehen, saßen die Staatsanwaltschaft und daneben die Rechtsanwälte der Nebenklage, darunter auch ein Polnischer, der nicht-jüdische polnische Opfer vertrat. Ihnen gegenüber saßen der Angeklagte und sein Anwalt und zwei Reserverichter, die verpflichtet sind, an allen Verhandlungstagen anwesend zu sein. Denn falls sie einen erkrankten Richter ersetzen müssten, müssen sie vorher alles mitangehört haben. Eine weitere Person war für die Aufnahme aller Prozesstage verantwortlich. Dieses Material ist nicht für den Gebrauch der Richter bestimmt, sondern für die Ewigkeit! Es wird als historisch wichtiges Material für spätere Generationen archiviert. Und wir sind Zeugen. In der Mitte des Us, das sich so formt, sitzt der jeweilige Sachverständige oder vorgeladene Zeuge. Jede Seite des Vierecks verfügt über Bildschirme, auf denen alle Dokumente, die der Sachverständige erläutert, von allen Beteiligten eingesehen werden können.

 

An unserem Tag ist der geladene Sachverständige Prof. Stefan Hördler, ein Historiker an der Universität Göttingen. Er stellt das ganze bürokratische System des SS-Staates mit einem unglaublichen Detailwissen vor. Diese Bürokratie wurde für 1000 Jahre geschaffen. Gut, dass das NS-Regime vorher besiegt wurde, und welch ein Glücksfall, dass papierene Zeugen dieses Wahns überlebten und heute zur Wahrheitsfindung beitragen.

 

Die Fülle der Informationen ist erdrückend. Wer kein Deutscher war, sondern ein sogenannter Volksdeutscher, d.h. ethnisch deutsch war, aber keine deutsche Staatsangehörigkeit hatte, konnte sich nur als Freiwilliger bei der Waffen-SS melden. Danach konnte die Waffen-SS über diese Personen verfügen. Es gab pro Land Kontingente für Volksdeutsche in der Waffen-SS. In Rumänien und Litauen wurde sogenannte Tausender-Einheiten aus Volksdeutschen zusammengestellt. Ab dem Jahr 1944, wohl auch schon im Angesicht von fehlenden Soldaten, durfte die Waffen-SS auch zwangsweise rekrutieren. So geschah es z.B. in Ungarn. Im Jahr 1943 waren insgesamt 15.000 Mann in KZ-Lagern beschäftigt, davon waren 7.000 Volksdeutsche. Wer sich bei der Waffen-SS meldete, wusste aber nicht, ob er an der Front oder in ein SS-Totenkopfsturmbanner in einem KZ eingesetzt wurde. Die Mehrheit der Freiwilligen kam im Feld und nicht in KZs zum Einsatz.

 

Joseph Schütz ist Volksdeutscher aus Litauen. Professor Hördler kann seinen Dienstantritt in Sachsenhausen im SS-Sturmbann Wachbataillon auf den Tag genau nachweisen: 23.10.1941. An dem Tag trat die Gruppe der Litauer mit 360 Mann in der 9. Kompanie des SS-Wachverbandes, später Totenkopfverband, ihren Dienst in Sachsenhausen an. Seine Registernummer ist 116 in der 9. Kompanie. Im Jahr 1943 durchlief die SS-Kompanien eine Umstrukturierung durch Zusammenlegung von Kompanien. Professor Hördler erläutert das System, und erklärt, wie man den Verbleib von Josef Schütz darin nachweisen kann. Dabei ist damals allerdings ein Schreibfehler beim Geburtsdatum von Josef Schütz unterlaufen. Es wird nicht als 16.11.1921, sondern als 16.1.1921 eingetragen. Weiterhin werden die Richter darüber aufgeklärt, dass eine Kompanie aus 125 Mann bestand, ein Totenkopfbataillon hingegen aus 150. In der neuen 4. Kompanie, in der sich Josef Schütz nach der Umstrukturierung befindet, gab es 158 Mann. SS-Unterführer hatten ihr eigenes Verzeichnis. Alle Kompanien Sachsenhausens zusammengefasst ergaben 1.423 Mann. Selbst der Wachschlüssel war genormt. In Sachsenhausen entsprach er mit 1:17 der angestrebten Norm. Stutthof hatte im Vergleich dazu einen wesentlich schlechteren mit 1:46. Ab dem Jahr 1944 wurden auch Wachmannschaften aus Auschwitz und Birkenau in andere Lager überführt. Im ersten Quartal von 1945 wurde Josef Schütz an den SS-Truppenübungsplatz Kurmark in Brandenburg versetzt.

 

Das Grauen packt einen, als erklärt wird, dass die Kompanie von Josef Schütz eine sog. Ausbildungskompagnie war. Regelmäßig wuchs sie auf 300 Leute an. 150 davon wurden nach der Ausbildung woanders eingesetzt. Josef Schütz aber blieb immer in Sachsenhausen. Ich frage mich, was da wohl unter Ausbildung verstanden wurde? Gab es ein Fach ‚Mord und Totschlag‘, und wurde es an lebenden Menschen ‚unterrichtet‘? Ich frage mich, welche Bilder der Angeklagte jetzt im Kopf hat, ob er nicht doch etwas sagen möchte.

Josef Schütz

Der Angeklagte sitzt auf seinem Stuhl neben seinem Rechtsanwalt. Er trägt ein kariertes Hemd, darüber einen selbstgestrickten Pullover. Ein blauer Ordner liegt vor ihm, bereit um sein Gesicht zu verstecken. Er hat noch eine weiße Mähne auf dem Kopf, sieht gesund aus. Hinter ihm sitzen zwei Männer vom Roten Kreuz, falls er ein Problem haben sollte. Laut vorgelegter Dokumente hatte Josef Schütz den militärischen Grad eines Waffen-SS Rottenführers. Das Wort allein deutet auf nichts Gutes. Menschen, die sich zusammenrotten, haben böse Absichten. Tiere rotten sich zusammen, um bei der Jagd erfolgreich zu sein. Rotte assoziiere ich mit Tieren und schlechten Menschen. Der tierbezogene Dienstgrad spiegelt sicherlich die Grausamkeiten, die diese Menschen (?) im KZ begingen, wider. Ein Rottenführer hatte vier Leute unter sich. Das entsprach dem Rang eines Obergefreiten in Heer bzw. Luftwaffe der Wehrmacht.

 

Manchmal scheint Josef Schütz etwas von dem zu kommentieren, was der Sachverständige vorträgt, aber ohne Mikrofon. Er ist sichtlich bei der Sache. Einmal schaltet der Verteidiger das Mikro ein, und ich höre Josef Schütz zum ersten Mal sprechen. Er bestreitet die Tatsachen, die der Sachverständige gerade erklärt hat, um nachzuweisen, dass Josef Schütz in Sachsenhausen vor Ort war. Er spricht deutsch mit einem hörbaren Akzent, aber ich verstehe ihn ohne Probleme. Er behauptet, dass er niemals in Sachsenhausen hätte Dienst tun könne, weil er ja gar kein Deutsch sprach. Das habe er erst nach dem Krieg von seiner Frau gelernt. Über die neuen und auszubildenden SS-Männer, die in Wellen ins KZ kamen, sagt er, dass sie notwendig waren, weil Leute wie er kein Deutsch sprachen. Da widerspricht er sich selbst. Denn er rückt nicht von der Behauptung ab, dass er nie in Sachsenhausen gewesen war, hat aber dennoch Insiderwissen. Das passt nicht zusammen.

 

Der Verteidiger möchte Klarheit über das falsche Geburtsdatum und stellt in Zweifel, dass Josef Schütz besagter Josef Schütz war. Namen könnten ja auch falsch geschrieben werden, wenn sie nach Gehör aufgeschrieben werden. Der Sachverständige entkräftet das Argument, weil er alle existierenden Register durchgearbeitet hat, und es niemals einen anderen Josef Schütz gegeben hat. Das kann einen überraschen, wenn man bedenkt, dass dieser Name nun nicht sehr ungewöhnlich ist. Thomas Walther meldet sich zu Wort und sagt: „Er (Josef Schütz) ist, wer er ist. Und das zweifelsohne.“ Der Richter nutzt die Gelegenheit, um dem Angeklagten die Möglichkeit zu geben, jetzt seine Anwesenheit in Sachsenhausen zu bestätigen. Er bettelt förmlich um dieses Eingeständnis. Es würde alles so viel einfacher machen und auch den Angeklagten schneller von der Last dieses Prozesses befreien. Die Antwort ist eine sonores: „Nein!“ Die Gegenfrage des Richters lautet: „Wo waren Sie denn dann?“ Es gibt ein kleines Hin und Her zwischen dem Angeklagten und seinem Verteidiger. Dann erklärt der Verteidiger, dass er zusammen mit dem Angeklagten für den folgenden Prozesstermin eine Erklärung dazu ausarbeiten werde. Thomas Walther bittet darum, bei nächster Gelegenheit die Tochter des Angeklagten anhören zu dürfen. Er weiß, dass die Tochter nicht mit ihrem Vater in Verbindung gebracht werden will, weil sie eine bekannte Sportgröße in der DDR ist. Sie hatte keine Ahnung, worum es ging, als im Jahr 2019 eine Hausdurchsuchung bei ihrem Vater durchgeführt wurde. Als ihr klar wurde, worauf die Anklage gegen den Vater lautete, brach sie jeglichen Kontakt zu ihm ab.

 

Nach einer Pause wird der Prozess wieder aufgenommen. Jetzt beschreibt Professor Hördler Lagerkommandanten und andere wichtige ‚Führungskräfte‘ im KZ Sachsenhausen. Darunter ist auch Rudolf Schwitters, SS-Obersturmführer und ‚Spezialist‘ für Erschießungen. Er wurde bei der Organisation und Erschießung von mindestens 10.000 sowjetischen Kriegsgefangenen hinzugezogen. Sein Chef, Gustav Wegener, seines Zeichens SS-Obersturmbannführer und Kommandant des Wachbataillons von Sachsenhausen, war der Organisator. Diese Tat wird in den Dokumenten der SS unter der Abkürzung 14f14 geführt. In diesem Zusammenhang berichtet Professor Hördler über einen Schriftaustausch, in dem diskutiert wird, wie man es in einer Beförderungsurkunde am besten formulieren sollte, wofür jemand befördert wurde: Exekution oder Erschießung. Geeinigt wurde sich auf die Formulierung „Sonderaufgaben von nationaler Bedeutung“. Die Wortwahl lässt mich erschauern. Eine Bagatellisierung von Massenmord, der dann mit Erholungsurlaub in Italien und einer Medaille belohnt wird. Und heute wagen sich Leute auf ihren sozialen Netzwerken den Judenstern für Ungeimpfte zu bagatellisieren, oder antisemitische Parolen auf heutige Politiker umzumünzen. So fängt es an. Wo es aufhört, kann man in diesem Prozess gut mitverfolgen. Die namentliche Nennung seiner Befehlshaber macht Josef Schütz sichtlich unruhig. Die Einschüsse kommen immer näher, sozusagen.

 

Nach zweieinhalb Stunden wird der Prozess aus Rücksicht auf das hohe Alter des Angeklagten abgebrochen. Wir sind auch erledigt. Elisa und Lena führen jetzt noch ein Interview mit Thomas Walther für den Dokumentarfilm des Projekts. Dann wird noch gefilmt, wie sie von einem Banner die 33 Namen der Ostbelgier vorlesen, die auch in Sachsenhausen inhaftiert waren.

Abbildung 4 Das Banner mit den 33 Ostbelgiern, die in Sachsenhausen interniert waren

Schließlich gehen wir nach draußen, befreit atmen wir die frische Luft und beginnen diese Erfahrung langsam sacken zu lassen. Lena und Elisa werden ein Tagebuch über diese Erfahrung schreiben und beim nächsten Treffen im Februar allen anderen Jugendlichen davon berichten. Das Erlebte wird ihr gemeinsames Stück beeinflussen, aber auch ihr weiteres Leben.

Ausgang der Turnhalle

Abbildung 5 Nach der Verhandlung vor der Turnhalle, in der der Prozess stattfand, v.l.n.r.: Thomas Keller, Hans-Erich Viet, Tomke Lask


 Save the Date 

… für ein Angebot des Instituts für Demokratiepädagogik und des Parlaments der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens

Wichtige Info für alle Lehrpersonen der 4. Klassen der Primarschulen 

Wann? Donnerstag, 10. März 2022 von 13.30 Uhr – 15.30 Uhr

Wo? Im Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft

Beim Zug der Demokratie kommen Kinder aus verschiedenen Schulen Ostbelgiens zusammen, um sich mit den Politiker*innen über ein Thema auszutauschen. In diesem Schuljahr ist die Wahl auf das Thema “Was kann man tun, um gesund zu leben?” gefallen.Die Klassen erhalten im Vorfeld eine lebensgroße Kartonfigur, die aus zwei Silhouetten besteht: einem Erwachsenen und einem Kind. Zur Vorbereitung werden diese Figuren im Unterricht ausgefüllt: auf das Kind schreiben oder malen die Schüler, was sie selbst zum Thema verändern können und auf den Erwachsenen, was sie sich von der Politik erhoffen. Die Schüler*innen bringen die Figuren dann ins Parlament, um vor Ort mit den Entscheidungsträger*innen darüber auszutauschen. Die Ergebnisse werden am Ende in der großen Runde im Plenarsaal vorgestellt. Zu einem späteren Zeitpunkt kann erneut ein Kontakt zwischen den Politiker*innen und den Kindern hergestellt werden, um Bilanz zu ziehen. Sie interessierten sich für eine Teilnahme mit Ihrer Klasse des 4. Schuljahres? 

Gerne unterstützen Sie das Institut für Demokratiepädagogik und das Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens bei der Vorbereitung!

Information und Anmeldung per e-Mail unter info[at]pdg.be oder telefonisch unter 087 31 84 13

Anmeldeschluss ist der 01.Februar 2022

Achtung: Die Anzahl teilnehmender Klassen ist begrenzt!

Es gelten die zum Zeitpunkt der Veranstaltung bestehenden Richtlinien zur Eindämmung von COVID-19.