Die Demokratie ist wie eine Pflanze, sie muss gegossen und gedüngt werden, um zu voller Blüte zu kommen. Wenn sich niemand um sie kümmert, geht sie ein – Rückblick auf die Aktionstage politische Bildung

Anlässlich des Internationalen Tags der Demokratie, der am 15. September begangen wird, blicken wir auf die Aktionstage Politische Bildung 2025 zurück.

In diesem Jahr gab es ein Jubiläum zu feiern: Zum zwanzigsten Mal fanden die Aktionstage Politische Bildung statt. Ursprünglich im Jahr 2002 aus einer österreichischen Initiative entstanden, gehören sie seit Jahren fest zum ostbelgischen Veranstaltungskalender und tragen dazu bei, politische Bildung in Ostbelgien sichtbarer zu machen. Neben aller Tradition gab es 2025 jedoch auch Neuerungen: Zum einen wurde anlässlich des Jubiläums die Dauer auf drei Monate – von April bis Juni – ausgeweitet. Zum anderen übernahm erstmals Gregor Freches die Schirmherrschaft über die Aktionstage Politische Bildung. Der Minister der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens für Kultur, Tourismus, Sport, Medien und politische Bildung sah in den diesjährigen Aktionstagen einen „wichtige[n] Anlass, um über Demokratie, Mitbestimmung und die Herausforderungen unserer Zeit ins Gespräch zu kommen“.

Sabrina Kirschner, Abteilungsleiterin politische (Medien-)Bildung am IDP, die für die Organisation der diesjährigen Aktionstage verantwortlich war, umreißt das Konzept: „Bei den Aktionstagen politische Bildung geht es darum, die Vielfalt der politischen Bildung aufzuzeigen und neue Impulse für eine engagierte und informierte Gesellschaft zu setzen. Den Begriff der politischen Bildung haben wir dabei bewusst äußerst weit gefasst, um eine Vielzahl von Veranstaltungen anbieten zu können und noch mehr Raum und  für Austausch, Reflexion und aktive Teilhabe zu bieten.“

Dazu gehörten nicht nur Wanderungen, sondern auch Vorträge, Workshops, Diskussionen und Theaterinstallationen und nicht zuletzt Gedenkfeiern und gemeinsames Frühstücken. Rund ein Dutzend Organisationen beteiligten sich und schufen Räume für Austausch, Reflexion und Teilhabe.

Fotocredit: Sabrina Kirschner

Agora-Theaterfestival

Eine dieser Organisationen war das AGORA Theater aus St. Vith, das gleich drei Veranstaltungen beisteuerte, die zugleich Bestandteil des schick.chic.chique-Festivals waren. Den Auftakt bildete am 02. April das Theaterstück Angel, das seine deutschsprachige Premiere feierte. Angelehnt an den Werdegang der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkels beleuchtete es den Aufstieg einer Frau in der Politik. Dabei wurden grundlegende Fragen aufgeworfen: Wie sollten sich Realität und Fiktion zueinander verhalten? Welche Rolle darf oder sollte die Kunst dabei spielen? In der anschließenden Podiumsdiskussion mit dem Titel „Wie schaffen wir das?“ wurden diese Fragen in den Kontext einer sich wandelnden politischen Weltbühne gestellt. Diskutiert wurde unter anderem mit dem Theatermacher und Philosophen Pieter De Buysser, Dahlia Pessemiers-Benamar, Co-Künstlerische Leiterin des AGORA Theaters den beiden Schauspielerinnen Nele Vereeken und Mieke Verdin sowie nicht zuletzt Sabrina Kirschner, Leiterin der Vernetzungsstelle Speak Up! und Abteilungsleiterin für politische (Medien-)Bildung am Institut für Demokratiepädagogik. Moderiert wurde die Diskussion von Raffaela Schaus, die das Publikum aktiv in das Gespräch einbezogen hat.

Fotocredit: Sabrina Kirschner

Als zweite Veranstaltung des AGORA Theaters fand am 04. April der Theaterrundgang „Come as you are“ statt. Diese wurde zwei Mal angeboten und führte an die verschiedenen Orte im öffentlichen Raum. Dort wurden jeweils vier Monologe von acht Darsteller*innen aufgeführt, die Momentaufnahmen aus dem Leben unterschiedlicher Figuren darstellten. Die Zuschauer*innen lobten besonders die Intensität und Vielfalt des Erlebnisses. Das Besondere an „Come as you are“ ist, dass selbst die Ensemblemitglieder im Vorfeld nicht wissen, welche Figuren, Texte und Spielorte Teil der Vorführung sein werden. Das liegt daran, dass das Konzept von drei Autor*innen – jeweils eine*r aus dem deutsch-, französisch- und niederländischsprachigen Teil Belgiens – entwickelt wurde. Insgesamt sollen nun 99 Monologe entstehen, jeweils 33 pro Landessprache, sodass jede Aufführung einzigartig bleibt.

Fotocredit: Monika Isanska

Die dritte AGORA-Veranstaltung fand am 03. Mai statt. Im Café Stille Post in St. Vith wurde die Vernissage „1 + 1 = 16“ eröffnet, die von Didier Scheuren gemeinsam mit 15 ostbelgischen Künstler*innen (Boogie Hebel, Anita Knauf, Michelle Kohn, Alexa Theis, Tanja Mosblech, Didier Scheuren, Evelyne Verheggen, Sabine Mertes, Norbert Huppertz, June Monstera, Greta Hoffmann, Eric Legrain, Cathy Croibien, Michael Dujardin, Christa Hoffmann und Sabine Rixen) organisiert wurde. Die Ausstellung legte den Fokus auf individuelle Geschichten und Perspektiven, die durch unterschiedliche künstlerische Ausdrucksformen sichtbar wurden. Themen wie Identität, Lebensrealität und persönliche Ausdrucksformen standen im Zentrum. Die Vernissage entwickelte sich zu einem Ort der Begegnung, an dem Kooperation und Kommunikation zwischen Kunstschaffenden, Besucher*innen und Publikum gefördert wurden.

Fotocredit: Monika Isanska

Partizipatives Theater

Auch die sozio-kulturelle Vereinigung Chudoscnik Sunergia brachte mit dem partizipativen Theaterstück „Und wir mittendrin“ am 01. April einen Beitrag ein. In Zusammenarbeit mit dem Jungen Ensemble Marabu wurde die gegenwärtige Stimmung in Deutschland thematisiert, in Hinblick auf die Fragestellung, wo in der eigenen Lebenswelt eine Verschiebung spürbar ist und wie dem entgegenzuwirken ist. Die Zuschauer*innen wurden einbezogen und konnten per Smartphone an Live-Abstimmungen teilnehmen. Rund 100 Schüler*innen der Pater-Damian-Sekundarschule (PDS) und ihre Lehrkräfte erlebten eine intensive Auseinandersetzung mit den Fragen „Wofür stehst du?“ und „Wann schaust du weg?“, die auch in den anschließenden Gesprächen noch lange nachhallten.

Fotocredit: Axel Kremer

Anti-Bias Training

Das Netzwerk Ostbelgien – Gemeinsam stark gegen Vorurteile, dem zum damaligen Zeitpunkt die Frauenliga, Jugendinfo, Jugendbüro, Unia, Info Integration,  4 Youth, die VHS VoG, die Autonome Hochschule Ostbelgien und Institut für Demokratiepädagogik sowie die Vernetzungsstelle Speak Up! angehörten, organisierte am 2. April ein Anti-Bias-Training im Robert-Schuman-Institut in Eupen. Unter der Leitung von Jelena Iyassu und Eva Geuer konnten sich knapp 50 Teilnehmende intensiv mit der eigenen Haltung gegenüber Vielfalt und Vorurteilen auseinandersetzen. In angeregter Lernatmosphäre wurde erörtert, wie Vorurteile entstehen, welche Rolle sie im gesellschaftlichen Miteinander spielen und wie sie überwunden werden können. Am Ende stand ein geschärftes Bewusstsein dafür, Vielfalt als Stärke zu begreifen – immer unter dem Leitsatz des Workshops: erkennen – benennen – verändern.

Fotocredit: Chantal Pierlot

Workshop zu Mikroaggressionen

Am 16. April fand in St. Vith der Workshop „Gut gemeint ist nicht gleich gut“ statt, organisiert von UNIA und Info Integration. Dort beschäftigten sich die Teilnehmenden mit rassistischen Mikroaggressionen und lernten Strategien kennen, wie sie diesen im Alltag begegnen können. Das Programm kombinierte Theorie, Übungen und praktische Tipps, die nicht nur von den Referierenden, sondern auch von den Teilnehmenden selbst eingebracht wurden. So entwickelte sich ein Austausch, der viele neue Denkanstöße ermöglichte und zu einem konstruktiveren Umgang mit Diskriminierung und Polarisierung beitragen kann.

Belgien verstehen

Auch die Volkshochschule nutzte die Aktionstage, um mehrere Veranstaltungen durchzuführen. Den Auftakt bildete am 01. April der Vortrag „Belgien verstehen – ein Land mit vielen Ebenen“ von Patrick Meyer. Im zweistündigen Vortrag wurden die komplexe Struktur Belgiens und ihre historischen Hintergründe erläutert.

Fotocredit: Katrin Zeimers

Stammtischparolen auf dem Prüfstand

Aufbauend auf einem Format aus dem Vorjahr fand außerdem der zweite Teil des Workshops „Was tun gegen politische Sprüche, Vorurteile und Rassismus?“ statt. Unter der Leitung von  Stefan Kirschgens entwickelten die Teilnehmenden Strategien, wie auf populistische Sprüche oder rassistische Aussagen im Alltag – sei es am Arbeitsplatz, im Verein oder online – reagiert werden kann. Erfahrungen wurden ausgetauscht, auch ohne Vorkenntnisse konnte das Publikum praxisnahe Ansätze mitnehmen. Das Feedback lautete am Ende: hilfreich, ermutigend, alltagsnah.

Radikalismusprävention

Zusammen mit der Anlaufstelle Wegweiser Ostbelgien wurde am 5. Juni die Fortbildung „Gesellschaftliche Konflikte und sensible Themen im Kontext von Radikalismus“ angeboten. Anton Vereshchagin und Kim Barth gaben Einblicke in Radikalisierungsprozesse und präventive Handlungsmöglichkeiten. Teilnehmende aus Bildung, Sozialarbeit, Sicherheitsdiensten und Beratung brachten vielfältige Perspektiven ein. Ob bei theoretischem Input oder praktischen Übungen wie Rollenspielen und Fallbeispielen – es wurde deutlich, dass ein großes Bedürfnis nach fundierter Weiterbildung im Umgang mit gesellschaftlichen Spannungsfeldern besteht.

Fotocredit: Katrin Zeimers

Praktisch orientierte politische (Medien-)Bildung am IDP

Das Institut für Demokratiepädagogik legte den Schwerpunkt seiner Veranstaltungen auf politische (Medien-)Bildung. Im Workshop „Das Vögelchen zwitschert nicht mehr – Soziale Medien in demokratisch herausfordernden Zeiten zwischen Fediverse und Metaverse“ lernten die Teilnehmenden, welche Stärken und Schwächen verschiedene soziale Netzwerke haben und wie dort mit Zensur oder vermeintlich politischen Inhalten umgegangen wird. Neben Themen wie Filterblasen und Echokammern wurde insbesondere das in Ostbelgien noch wenig bekannte Fediverse positiv aufgenommen. Eine abschließende Diskussion über mögliche alternative Plattformen rundete die Veranstaltung ab.

Eine zweiteilige Veranstaltung war der Workshop „Irgendwas mit sozialen Medien“, der zunächst am 20. Mai und dann, krankheitsbedingt, erst am 02. September stattfand und so auch die Aktionstage abschloss. Während im ersten Teil Grundlagen wie Zielgruppenanalyse, Algorithmen oder rechtliche Fallstricke behandelt wurden, lag der Fokus des zweiten Teils verstärkt auf Praxisbeispielen aus Ostbelgien. In angeregter Atmosphäre wurden Fragen zu Bildsprache, Fotorechten, ethischen Aspekten sowie dem Umgang mit Bots und Trollen diskutiert. Außerdem befassten die Teilnehmenden sich mit der Frage, welche Dinge es im Zusammenhang mit politischer Bildungsarbeit in den Social Media zu beachten gilt.Ein eigens erarbeitetes Workbook half dabei, die Ergebnisse zu sichern und Impulse für die tägliche Arbeit mitzunehmen.

Die Teilnehmenden freuten sich über neue Einsichten, und hatten bereits Erkenntnisse aus dem ersten Workshop für die zwischenzeitliche eigene Social Media Arbeit nutzen können.

Die Veranstaltungen des IDP schlugen auch eine Brücke zum Europäischen Jahr der Digital Citizenship Education (DCE) des Europarats, indem sie einerseits die Medien- und Informationskompetenz der Teilnehmenden förderten und andererseits ein Bewusstsein für medienethische und -rechtliche Belange schufen.

Social Media Workshop im IDP

Fotocredit: Sabrina Kirschner

Nachhaltig frühstücken

Auch das gemeinsame Frühstücken spielte wieder eine Rolle. Der Weltladen organisierte am 01. Mai in Eupen und Eynatten Frühstücksveranstaltungen mit regionalen und fair gehandelten Produkten. So wurden Brötchen, Milch, Aufstrich und Käse von lokalen Bäckereien und Landwirten gegessen, während Kakao, Kaffee, Honig und Obst von internationalen Betrieben mit fairer Herstellung und zu fairen Preisen bezogen wurden. In Eupen fand das Frühstück im Keglerheim statt, in Eynatten kamen allein 110 Gäste zusammen und genossen das vielfältige Buffet. Der Erlös wurde zur Unterstützung zweier Projekte auf den Philippinen verwendet, darunter die Anschaffung von Wasserbüffeln und einer Trinkwasseranlage.

Fotocredit: Andrea Göttgens

Gedenken in Wereth

Einen festen Platz in den Aktionstagen hat die Gedenkfeier am US Memorial Wereth, die auch in diesem Jahr am 17. Mai stattfand. Vertreter*innen aus Politik, Militär und Zivilgesellschaft, darunter Delegierte der US-Botschaft in Brüssel, erinnerten an die Werte, für die Wereth steht: Menschenwürde, Gerechtigkeit, Demokratie und Frieden. Bürgermeister Erik Wiesemes betonte die Bedeutung solcher Erinnerungsorte als Brücken zwischen Vergangenheit und Zukunft, gerade in einer Zeit, in der auf internationaler Ebene Brücken eingerissen werden.

Wandern zwischen Venn und Schneifel

Nicht zuletzt lud der Königliche Geschichts- und Museumsverein „Zwischen Venn und Schneifel“ wieder zu acht Wanderungen ein, bei denen insgesamt 82,5 Kilometer erkundet werden konnten. Schauplätze wie Salmchâteau, die Kriegsgeschichte von St. Vith, der Fluchthelferweg oder die alte belgisch-preußische Grenze standen dabei im Mittelpunkt. Die Leitung der Wanderungen hatte wieder K.D. Klauser übernommen; er sorgte für interessante Informationen und Anekdoten entlang des Weges.

Fotocredit: K. D. Klauser

Die Aktionstage politische Bildung 2025 sind vorbei!

Damit gingen die Aktionstage Politische Bildung 2025 – wenn auch etwas verspätet – zu Ende.

Die Organisatorin der diesjährigen Aktionstage, Sabrina Kirschner, am IDP für politische (Medien-)Bildung und Speak Up! zuständig, zog ein positives Fazit:

„Es freut mich sehr, dass in Zeiten, in denen die Demokratie vor großen Herausforderungen steht, in Ostbelgien mit den diesjährigen Jubiläumsaktionstagen ein wichtiges Zeichen gesetzt wurde. Viele der Veranstaltungen haben die Teilnehmenden dazu eingeladen, neue Perspektiven zu entdecken, neue Eindrücke zu reflektieren und gemeinsam mit den anderen Menschen in Ostbelgien darüber nachzudenken, wie sie aktiv eine demokratische Zukunft mitgestalten können. Auch wenn aus verschiedenen Gründen nicht alle Veranstaltungen stattfinden konnten, gab es eine breite Beteiligung und die ist wichtig, um das demokratische Miteinander zu fördern. Uns war auch wichtig zu zeigen, dass der Weg zur Demokratie nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen ist. Bei einigen unserer eigenen Angebote haben wir uns deshalb auch mit unangenehmen Themen und Problemen auseinandersetzt, um daraus für die Zukunft zu lernen und einen Beitrag dazu leisten zu können, dass die Demokratie resilienter wird. Denn die Demokratie ist wie eine Pflanze, sie muss gegossen und gedüngt werden, um zu voller Blüte zu kommen. Wenn sich niemand um sie kümmert, geht sie ein.“

Das IDP-Team dankt an dieser Stelle allen, die zum Gelingen der Aktionstage beigetragen haben. Einerseits sind dies die Organisator*innen der jeweiligen Angebote, die uns auch die Bilder zur Verfügung gestellt haben. Andererseits aber auch die Ostbelgier*innen selbst, die sich diskussionsfreudig und engagiert an den Aktionstagen beteiligt haben – sei es beim Wandern, Frühstücken, in Workshops, Inszenierungen, Ausstellungen, Gedenkfeiern oder Vorträgen. Nicht zuletzt auch geht der Dank auch an den Schirmherren.