Euregio zum Hören: Podcasts verbinden junge Menschen über Grenzen hinweg

Seit Juni 2024 ist das Eupener Institut für Demokratiepädagogik (IDP) Projektpartner in einem auf zwei Jahre angelegten Erasmus+ Projekt. Gemeinsam mit der StädteRegion Aachen, die den Projektantrag in Deutschland eingereicht hat, erarbeiten die Mitarbeiterinnen des IDP verschiedene Formate zum Oberthema Euregionale Demokratiebildung und Erinnerungsarbeit konzipieren. Aus diesem sperrigen Namen leitet sich auch das Projektakronym EDE ab.

EDE befasst sich mit den Chancen und Herausforderungen der grenzübergreifenden Kooperationen im Bereich der historisch-politischen Bildung. Im Zentrum des Projekts steht eine Bestandsaufnahme und Analyse vorhandener Angebote im Bereich der (historisch-)politischen Bildung beider Institutionen. Darauf aufbauend erarbeitet das Projektteam Jo Siemon und Marleen Schonmacker bei der StädteRegion Aachen und Dr. Tomke Lask und Sabrina Kirschner am Institut für Demokratiepädagogik ein jeweiliges Leitbild für zukünftige Aktivitäten im Bereich der euregional verankerten historisch-politischen Bildungs- bzw. Erinnerungsarbeit. Das Eupener Projektteam hat dazu bereits ein erstes Retreat in Antwerpen durchgeführt.

Allerdings beschäftigt sich das Erasmus+ Projekt nicht nur mit abstrakten Fragen des institution buildings, sondern erarbeitet anhand konkreter Beispiele verschiedene Fragestellungen. Eine dieser Fragestellungen war, wie man insbesondere jüngere Menschen grenzüberschreitend ins Gespräch über Geschichte und Erinnerungskultur in der Grenzregion bringen kann.

Den Aufhänger dafür hat ein Podcast-Projekt mit Jugendlichen geliefert. Grundlage des grenzüberschreitenden Austauschs der Jugendlichen aus Ostbelgien und der StädteRegion Aachen waren Tonaufnahmen mit Interviews ehemaliger Flakhelfern. Diese boten einen besonders spannenden Anknüpfungspunkt, denn die damaligen Flakhelfer waren kaum älter als die Jugendlichen, die sich für das Projekt zusammengefunden hatten. Und sie stammten aus dem gleichen Gebiet wie die jungen Projektteilnehmer*innen der Podcast AG. Die alten Tonaufnahmen hatte seinerzeit die Hörfunkjournalistin Michaela Natschke gefunden. Mit diesem Material setzten sich die Jugendlichen nun auseinander. Dabei entdeckten sie für sie spannende Aspekte ihrer Lokalgeschichte und zogen Querverbindungen zur aktuellen politischen Lage in Europa. Daraus entstanden eigene Ideen, aus denen jeder Jugendlicher mit eigener Recherche einen Podcast erstellen wollte.

Im Herbst 2024 startete die Podcast AG. Eine Hand voll Schüler*innen aus Ostbelgien und vom Rhein-Maas-Gymnasium trafen sich regelmäßig, um mehr über die NS-Zeit und das heutige Leben jen- und diesseits der Grenze zu erfahren. Bei einer gemeinsamen Exkursion nach Vogelsang blieb genügend Zeit, sich besser kennenzulernen, ein gemeinsamer Workshop in der Aachener Digital Church und online-Treffen sorgten dafür, dass die Jugendlichen über den Projektzeitraum miteinander im Austausch standen.

In der Digital Church haben die Jugendlichen einen Workshop der Agentur AudiotexTour zum Podcasten besucht. Ein anderer Workshop diente zum Üben von Interviews für die Podcasts. Merle hat sich so mit dem ehemaligen Leiter von Grenzgeschichte DG, Dr. Herbert Ruland, unterhalten und viele Informationen über die (Nach-)Kriegszeit in der Region erhalten. Ihren Schwerpunkt legte Merle anschließend auf den Alltag der Kinder damals im Krieg. Sie suchte sich dazu einen Zeitzeugen, Hans Buecken aus Aachen, der ihr mehr über die Evakuierungserfahrung erzählen konnte. Ihr Podcast heißt: Zug der Erinnerungen.

Marius, der erst seit anderthalb Jahren in Ostbelgien lebt, und aus Bayern nach Eupen kam, befasste sich mit der Frage, wie es ist, wenn man plötzlich ganz woanders lebt, die kulturellen Anhaltspunkte weg sind und man sich einen neuen Platz in der Gesellschaft suchen muss, eben eine neue Identität. Dazu hat er unter anderem Mitglieder seiner Familie befragt, die mit ihm umgezogen sind, seinen in Bayern verbliebenen Teil der Familie, aber auch Jugendliche aus seinem neuen ostbelgischen Freundeskreis. Er gab seinem Podcast passenderweise den Titel: „Servus und Salut“. Als Bayer in Ostbelgien. Leider ist der Podcast noch nicht fertig.

Jan, ein großer Fan von Alemannia Aachen, hat sich für die Geschichte seines Fußballclubs interessiert und anhand zweier Fußballspieler mit der NS-Zeit bei der Alemannia befasst. Sein Interviewpartner war, Dr. René Rohrkamp, Leiter des Aachener Stadtarchivs. Jans Podcast trägt den Titel: ‘Sportgeschichten‘. Zwischen Fußball und Verfolgung. Allerdings hat Jan im Rahmen des Projekts nicht nur mehr über seine Alemannia gelernt, sondern auch über den Nachbarn Belgien: „Ich habe auch sehr viel über Belgien als unser direktes Nachbarland erfahren, und auch über die damaligen Umstände in Belgien“, so der Schüler des Aachener Rhein-Maas-Gymnasiums.

Last, but not least, stellte sich Linus die Frage wie es dazu kam, dass sich die Menschen damals für den Faschismus begeistert haben, und wie man heute dieses Wissen nutzt, um Radikalisierung zu verhindern oder beim Ausstieg aus radikalen Kreisen zu helfen. Darüber unterhielt er sich mit Dr. Anton Vereshchagin von Wegweiser Eupen. Der Titel, den Linus seinem Podcast gegeben hat, lautet: Vom Faschismus fasziniert. Wie Extremisten die Jugend für sich gewinnen.

Ende Juni war es dann so weit: Die Podcasts feierten Premiere! Im Eynattener Jugendtreff Inside fanden sich die Projektteilnehmer*innen zusammen, um ihren Familien und den anderen Projektbeteiligten die Endergebnisse von neun Monaten harter Arbeit vorzustellen. Die Vorstellung fand in einem lockeren Worldcafé-Format statt, bei dem sich die Jugendlichen den Fragen der interessierten Zuhörer*innen stellten. Der Interviewpartner und Zeitzeuge Hans Buecken hatte es sich trotz seiner 90 Jahre nicht nehmen lassen, ebenfalls nach Eynatten zu kommen. Die Anwesenden nutzen die Gelegenheit, um den Zeitzeugen zu seinen Erfahrungen als Kind während der Evakuierung zu befragen. Auch Tillmann Brozek, Lehrer am Rhein-Maas-Gymnasium in Aachen, der die Aachener Schüler*innen in einer freiwilligen AG über das Jahr begleitet hatte, und Jans Mutter kamen zur Vorstellung der Podcasts. Bei Kuchen, Pastabüffet und kühlen Getränken verging die Zeit wie im Fluge.

Bemerkenswert fand Dr. Tomke Lask, die das Podcast-Projekt für das IDP federführend begleitete: „Für die Jugendlichen, die neben ihren Verpflichtungen für die Schule und ihren regelmäßigen Freizeitaktivitäten zusätzlich und freiwillig an diesem Projekt teilnahmen, war es keine einfache Erfahrung, allen Anforderungen in ihrem Leben gerecht zu werden. Manche mussten auch Prioritäten setzen, und sind deshalb aus dem Projekt ausgeschieden. Andere haben es nicht ganz geschafft, mit ihrem Podcast fertig werden. Was aber zählt, ist, dass es grenzüberschreitende Erfahrungen gab, dass man sein Nachbarland besser kennengelernt und mehr Selbstbewusstsein durch eigenständiges Arbeiten erlangt hat.“

Die aus dem Projekt hervorgegangenen Podcasts sind nun als Teil der Reihe Geschichten Grenzen Generationen hier auf Spotify abrufbar.

Nachdem nun mit der Podcast AG ein Mosaikstein des EDE-Projekts fertiggestellt wurde, freuen sich die beiden Mitarbeiterinnen des IDP, Dr. Tomke Lask und Sabrina Kirschner, nun darauf, das Projekt weiterzuführen. Die Vorstellung der Endergebnisse des Projekts im großen Rahmen sei für das Frühjahr 2026 in Ostbelgien geplant, so das IDP-Projektteam.